Liebe Leser:innen,
momentan ist wahnsinnig viel los – deshalb versende ich Neue Bellona durchaus momemtanen mehr als sonst. Die Welt dreht sich schnell, die Schlagzahl steigt, und in Sachen Sicherheitspolitik bleibt kaum Zeit zum Durchatmen.
Nach wie vor ist Desinformation in allen Medien ein zentrales Element und da draußen im Diskurs wuchert weiter eine Menge Bullshit. Gerade kamen mehrere Studien heraus, die nachweisen, wie sehr Social Media traditionelle Medien beim Nachrichtenkonsum überholt. Auch deshalb arbeite ich hier ein klein wenig gegen die Extremist:innen und die Hamas- und Putin-Versteher:innen an - auch in sozialen Medien.
Was ist also sicherheitspolitisch subjektiv gerade wichtig?
Der NATO-Gipfel beginnt heute – ein dickes Brett. Es ist absehbar, dass dort Weichen gestellt werden. Und natürlich steht über allem die Frage: Gibt es eine böse Überraschung mit Donald Trump?
Trumps frisch erfundener Waffenstillstand hatte zumindest gestern noch einen Pferdefuß. Die beteiligten Parteien wollten sich nicht daran halten und Trump rastete frisch, fromm, fröhlich, frei auf Fox aus (siehe unten). Viel wichtiger: Erste Meldungen kommen heraus, die nahelegen, dass das “obliterated” Atomprogramm des Iran möglicherweise nur ein paar Monate zurückgeworfen wurde. Und das hochangereicherte Uran? Wo ist das? 🤷♂️
Die Begründung für alles, was zwischen Israel, Iran und den USA in den letzten Wochen passiert ist, ist, dass das Atomprogramm so außer Gefecht gesetzt wird. Wäre das nun nicht gelungen, wäre das eine Katastrophe. Das hieße nämlich, dass es früher oder später eine Rückrunde geht. Und ob die noch konventionell bleibt, ist abzuwarten.
Und Putin? Der mordet weiter, wie gehabt. Und schaut mit mindestens einem Auge auf Washington und Brüssel – in der Hoffnung, dass sich das Fenster für seine imperialen Pläne vielleicht doch noch weiter öffnet.
Das sind die Themen – und das hier sind die Links meines 25. Junis.
Viele Grüße
Gerald
Der NATO-Gipfel 2025
Trump und die NATO: Berechenbar unberechenbar
Tagesschau, 25.06.2025
Heute beginnt ein sehr wichtiger NATO-Gipfel. Viele munkeln, dass er entscheidend sein könnte. Dass Trump unberechenbar ist, weiß inzwischen jedes NATO-Mitglied . Die eigentliche Frage lautet: Wie groß wird die nächste Überraschung? Wird er aus dem Bündnis ausscheren, wenn ihm ein Satz in der Abschlusserklärung nicht passt? Oder morgen doch ein Milliardenpaket für Kiew ankündigen, weil ihn jemand auf Fox News überzeugt hat? Die Unsicherheit ist längst Teil der Strategie – sie hält alle nervös und alle abhängig. Wir werden sehen, was passiert.
NATO ohne USA: Und wer ist jetzt der Sheriff?
Politico Europe, 22.6.
Nehmen wir mal an, der Worst Case passiert. Was, wenn die USA wirklich aussteigen? Europa hätte keine echte Alternative. Ein Quartett aus Großbritannien, Frankreich, Deutschland und Polen könnte versuchen, die Lücke zu schließen – aber ohne US-Nuklearschirm, Logistik und Truppenpräsenz wäre das ein Sicherheitsgerüst mit Sollbruchstellen. Europa redet viel über Autonomie. Jetzt könnte es sein, dass es sie plötzlich braucht. Und da ist man nicht gut aufgestellt.
Trump zeigt SMS von NATO-Chef Rutte – und ganz Europa schämt sich ein bisschen mit
NATO-Generalsekretär Rutte schickt Donald Trump eine freundliche SMS am Vorabend des NATO-Gipfels – und Trump macht sie prompt öffentlich. Ergebnis: ein politisches Cringe-Dokument zwischen Diplomatie und Duckmäusertum. Es zeigt, wie sehr sich die westliche Allianz um das Ego eines Mannes kreist, der sie am liebsten verlassen würde. Rutte wollte klug taktieren, heraus kam ein unterwürfiger Textbaustein mit Fremdschamfaktor. Memo an alle: Schmeicheleien an Trump landen meistens nicht im Privatchat, sondern auf der Bühne.
Israel und Iran
Der Tag nach dem erfundenen Waffenstillstand
Trump erfand einen Waffenstillstand, den niemand unterschrieben hatte, und an den sich gestern auch niemand hielt - zumindest bis jetzt. Das F-Wort hat man sonst nicht so oft in präsidentiellen Reden gehört. Die Laune war eher so semi.
14 Bunkerbrecher aber wenig Effekt fürs Atomprogramm
New York Times, 24.6.
Der Angriff auf Irans Nuklearanlagen war spektakulär – aber strategisch wohl eher Pyrotechnik als Präzisionsschach. Laut einem geheimen US-Bericht hat die US-Israel-Offensive das Atomprogramm des Mullah-Regimes nur um ein paar Monate zurückgeworfen. Die Eingänge wurden verschüttet, die unterirdischen Labore blieben intakt. Trumps Rede von "Obliteration" entpuppte sich als Wahlkampfpoesie mit Sprengkraft. Womöglich hat man einen Hochsicherheitsbunker einmal durchgepustet und Teheran jetzt alle Argumente geliefert, den Pfad zur Bombe zu beschleunigen.
Wo ist das Uran?
Tagesschau, 23.6.
Und noch etwas könnte richtig schlecht gelaufen sein. Laut IAEA könnte Teheran die wertvollsten Vorräte – rund 400 Kilogramm auf 60 Prozent angereichertes Uran – vor dem Angriff in Sicherheit gebracht haben. Und zwar unter Berufung auf einen Brief des iranischen Außenministers vom 13. Juni, der "besondere Schutzmaßnahmen" ankündigte. Die IAEA will Klarheit – und Zugang. Doch Teheran mauert. Sieht alles nicht so gut aus.
Hamas’ Weg in die Selbstauflösung
The Atlantic, 22.6.
Jeffrey Goldberg zeichnet ein scharfes Porträt von Yahya Sinwar, dem Hamas Chef, als den ideologisch verblendeten Dilettanten, der er war. Der 7. Oktober war für die Hamas kein Befreiungsschlag, sondern der Anfang vom Ende. Statt Israels „Zerfall“ zu beschleunigen, besiegelte Sinwar das Schicksal der Hamas, ruinierte Gaza, die Hisbollah, stürzte Assad ins Exil und lud Israel und die USA zum Krieg gegen Irans Atomanlagen ein. Goldbergs These: Wer Israel nur als kolonialen Pappkameraden sieht, versteht weder seine Gesellschaft noch seine Resilienz. Sinwars Fehler war ein großer zivilisatorischer Irrtum.
Wenn der Mossad einmal klingelt
Washington Post, 25.6.
Direkt nach Beginn der israelischen Luftangriffe auf den Iran machte der Mossad Anrufe bei Mitgliedern der iranischen Führung, darunter Generälen, und zwar zu Hause. Die wussten teilweise noch nicht mal, dass der Krieg begonnen hatte. Eine automatisierte Stimme vermittelte ihnen aber recht klar, was sie tun sollen.
Psychologische Kriegsführung is a bitch. Hier sieht man ganz schön, wie furchterregend das wirkt. Ziel war, die iranische Führung zu lähmen, und vor allen Dingen Abwanderungsbewegungen zu bewirken, die das ganze System noch bei Kriegseintritt noch mehr lähmen sollte. Als Ayatollah Khamenei wüsste ich jetzt nicht, wie ich mich noch trauen sollte.
Russland und Ukraine
Putin: „Ganz Ukraine gehört uns“
Deutsche Welle, 22.6.
Nur, dass es nochmal jeder verstanden hat: Putin will nicht verhandeln. Er will erobern. Punkt. „Wo der Fuß eines russischen Soldaten hintritt, das gehört uns“, verkündete der Kremlherr beim Wirtschaftsforum in St. Petersburg – und meinte das nicht metaphorisch. Für ihn ist die Ukraine kein Nachbarstaat, sondern russisches Eigentum mit abtrünniger Bevölkerung. Wer da noch von diplomatischen Lösungen träumt, verkennt nicht nur den Gegner, sondern auch die Realität. Das ist Imperialismus pur. Und er kommt nicht mit Verträgen, sondern mit Marschflugkörpern.
Russlands Luftabwehr kaputt
National Security Journal, Juni 2025
Russland war immer stolz auf seine Luftabwehr – S-300, S-400, Kronjuwelen der Moskauer Rüstungsindustrie. In der Ukraine bekam dieser Ruf schon tiefe Dellen. Und jetzt, nach den israelisch-amerikanischen Angriffen auf den Iran, ist das Prestige endgültig zerschmolzen. Trotz Lieferung modernster S-400-Systeme im Sommer 2024 fliegt die israelische Luftwaffe mit fast schon provozierender Unangreifbarkeit über iranisches Territorium. Kein Abschuss, kein Störsignal, nur schockierende Ohnmacht. Für Moskau ist das ein PR-GAU – und für Teheran ein sicherheitspolitischer Albtraum.
Geschichte
Die Männer, die die Atombombe abwarfen
The Guardian, 22.6.
Kaum jemand hat die Geschichte der Atombombenabwürfe so eindringlich rekonstruiert wie Stephen Walker. 80 Jahre nach Hiroshima und Nagasaki öffnet er seine Interviews mit den letzten Crewmitgliedern – Männer, die Städte auslöschten, ohne ihre Wirkung ganz zu begreifen. Das Ergebnis ist keine Anklage, aber auch keine Heldenerzählung. Es ist der Blick in eine moralische Grauzone, in der technische Präzision auf entmenschlichte Wirkung trifft. Wer wissen will, was nukleare Abschreckung jenseits der Strategie bedeutet, sollte dieses Stück lesen – mit kaltem Magen.

Das war meine kurze Sicherheitspolitik-Presseschau für heute. Wer diesen Newsletter weiterempfehlen mag: Sehr gerne.
Слава Україні!,