Guten Morgen,
vor einer Woche vertrat ich hier in meinem Newsletter die These, dass die USA in den nächsten Tagen in den Krieg eintreten. Weil zwei zentrale nukleare Anlagen im Iran für die israelische Luftwaffe unerreichbar sind. Letzte Nacht ist genau das passiert.
Die US-Luftwaffe und Marine hat einen Schlag gegen drei Atomanlagen des Iran geführt. Natans, Isfahan und das viel beschworene Fordo. Nur die USA verfügen über bunkerbrechende Waffen, die bis auf die Tiefe dieser zentralen, tief verbunkerten Elemente des iranischen Atomprogramms runterkommen. Laut Donald Trump wurden alle drei Anlagen zerstört und die Nummer war ein krachender (kein Wortspiel) Erfolg. Aber was würde Trump auch sonst sagen? Das Assessment des Angriffs steht noch aus und da ist durchaus wichtig, ob sich sowas nochmal wiederholt.
Momentan sieht es erstmal nach einem Angriff aus. Und in der Logik des israelischen Präventivkriegs gegen den Iran ist der US-Angriff konsequent. Ohne die Zerstörung der drei Anlagen hätte sich Israel den Rest sparen können, weil diese Atomanlagen mutmaßlich sehr wesentlich sind oder besser gesagt waren. Ich würde die Attacke sogar kühn nennen, weil die hier genutzten GBU-57 noch nie im Ernstfall eingesetzt wurde (siehe unten) und hier drei wichtige Ziele unter großem Risiko angegriffen wurden. Es könnte aber natürlich der Schritt zu einer noch viel größeren Eskalation sein. Dass ausgerechnet Donald Trump US-Oberbefehlshaber dieses Szenarios ist, macht die Sache nicht besser.
Weniger gefährlich ist die Welt heute Nacht nicht geworden.
Gerald
Das bisschen, was man jetzt weiß
New York Times, 22. Juni 2022
Die USA haben in der Nacht von Samstag auf Sonntag Angriffe mit sechs B-2 Stealth Bombern und 30 Marschflugkörpern auf drei Anlagen im Iran durchgeführt, die scheinbar zum Atomprogramm des Iran gehörten. Im Mittelpunkt des Interesses lag in den letzten Tagen immer wieder die top geschützte und verbunkerte Anreicherungsanlage Fordo. Hier vermutete man das Herzstück des iranischen Atomprogamms.
Um diese auszuschalten erfolgte der Angriff mit einer durchaus gewaltigen Flotte von B-2 Bombern. Gewaltig bedeutet: Wir reden von sechs Stück. Die USA besitzen gerade mal 20 dieser Tarnkappen-Jets. Nimmt man 1/3 Reparaturquote zu jedem Zeitpunkt an, ist das quasi die Hälfte des gesamten strategischen Stealth-Bomberbestands der USA. Das ist viel.
Zwar war die Problemstellung (nur die USA verfügen über die nötigen Mittel für einen entscheidenden Schlag gegen das iranische Atomprogramm) schon länger klar, aber ob nun die Entscheidung zum Schlag getroffen würde, daran zweifelte man zuletzt. Ich auch. Gestern Mittag deutscher Zeit schien es aber wieder offensichtlicher, dass sich etwas verändert, als die oben beschriebene Bomber-Armada von Flight-Trackern gesichtet wurde.
Aber warum so viele auf ein Ziel? Wahrscheinlich wollte man auf Nummer Sicher gehen wollte. Die GBU-57B (siehe unten) ist eine gewaltige, sehr komplexe Waffe. Aber ob sie das in einen Berg eingebaute Fordo “knacken” konnte, war unsicher. Man wusste weder, ob sie das Ziel verlässlich erreicht, noch ob sie funktioniert. Dass man hier als 12 dieser Megabomben auf ein Ziel abwirft, deutet auf die Strategie “Overkill” hin. Fordo sollte wirklich, wirklich, wirklich ausgeschaltet werden.
Übrigens: Trump geht mit dem Schlag nicht nur militärisch ein Risiko ein sondern vor allem innenpolitisch. Ein Engagement in den Krieg gegen den Iran ist massiv unpopulär in den USA, auch in seiner eigenen Sekt…äh Partei. Abzusehen bleibt nur, wie weit die Eskalation nun geht.
Ich kann mir gut ein Szenario vorstellen, in dem ein einziger Schlag gegen Irans Atomanlagen Trump wieder als strahlenden Star dastehen lassen wird. Speziell dann, wenn der Iran einknickt. Schwieriger wird es, wenn das US-Involvement nun in irgendeine Form von Dauerkrieg abgleitet. Das kann Trump nicht wollen, weil er dieses Szenario kaum kontrollieren können wird.
Nur die USA haben die Mittel zu einem Angriff auf Fordo
New York Times, 22. Juni 2022
Die New York Times erklärt in dem Kontext nochmal, warum - technisch gesehen - nur diese eine Option in Frage kam. Nur die B-2 kann zwei riesige Bunkerbrecher-Bomben vom Typ GBU-57B tragen. Nur dieser Bombentyp ist in derzeit in der Lage, auf die Tiefe der Atomanlage Fordo runterzukommen. 60m Tiefe kann dieser Bombentyp durchdringen (je nach Material) bevor er explodiert. Fordo lag bei 65 - 80m.
Die nächsten Tage werden zeigen, wie effektiv speziell Fordo getroffen wurde. Und vor allem, was als Gegenmaßnahme passiert.
Kontext: Carlo Masala bei Ronzheimer
Podcast, 20. Juni 2022
Nichts ist älter als die News von gestern. Aber wer sich aus dieser supergefährlichen Situation einen größeren Kontext machen will, dem empfehle ich diesen schnell gehörten Podcast mit dem Militärexperten Carlo Masala bei Paul Ronzheimer. Masala bestätigte vor zwei Tagen die Annahmen, dass die USA eingreifen könnten, er rechnete final aber dann auch damit, dass Trump keinen Angriff wagt.
Gleich wie: Masala und Ronzheimer sind gewohnt schlau. Und Masala erklärt nochmal den Kontext, was man glaubt, was in Fordo überhaupt ist, und auch die möglichen Folgen, die nun auf uns warten. Sehr hörenswert.
Bilder aus dem Situation Room
White House, 21. Juni 2022
Das Weiße Haus hat direkt schon ein paar schöne Bilder von den MAGAs beim Angespannt-auf-den-Bildschirm-und-bewundernd-auf-Trump-schauen gepostet. In Trumps kleiner, immer verletzter Welt hat er endlich nun das, was Obama damals aus dem Situation Room bei Operation Neptune’s Spear bekommen hat. Er ist leider genau so berechenbar.
Und jetzt?
Was jetzt passiert, weiß wohl niemand. My elaborated guess. Eines der folgenden vier Dinge passiert nun:
Nichts
Iranische Angriffe auf US-Einrichtungen im Nahen Osten (40.000 Soldaten sind da stationiert)
Iranische Angriffe auf US-Basen UND Verminung der Straße von Hormuz
Etwas, was alle Leser:innen dieses Newsletters nur verunsichern könnte
Ich gehe davon aus, dass seitens des Iran und Russlands viel geklappert wird, aber dass man nun eher den Weg der Deeskalation gehen wird. Sollten die drei Atom-Einrichtungen tatsächlich zerstört worden sein, kann man nun nur verlieren, wenn die USA tatsächlich vollumfänglich in den Krieg einträten. Vollumfänglich? Wir reden dabei wohl von Luft- und Seeangriffen, sicher aber nicht von einer Landinvasion.
Trump selbst ist - wie Masala sagt - eigentlich kein Kriegspräsident. Er droht gerne und er gibt an. Aber weder ist noch ein Krieg beliebt in den USA, noch führt er gerne Kriege - gerade gegen ein Land mit 90 Millionen Einwohner, das zweieinhalb mal so groß ist wie der Irak. Trump hat eine sehr bolde und sehr gefährliche Aktion gestartet, die das Atomprogramm des Iran an einer entscheidenden Stelle ausschalten soll. Jetzt hofft er auf Kapitulation des Iran und Verhandlungen.
Ignoriert der Iran das, und versucht er tatsächlich den nächsten Schritt zu gehen, könnte er nun die Meerenge von Hormuz verminen. Dann wird es auch wirtschaftlich für uns spürbar. Sie liegt zwischen Iran und Oman bzw. den Emiraten und ist eine der wichtigsten Öl- und Gasrouten der Welt: Rund 20 % des weltweiten Handels mit Brennstoffen läuft hier durch.
Eine Blockade hätte dramatische Folgen: Energiepreise würden explodieren, Lieferketten kollabieren, Inflation würde steigen – weltweit. Und: Die USA würden an dem Punkt mit Sicherheit in einen waschechten Krieg reingezogen werden, dessen Ausmaße noch völlig unbekannt sind. Hormuz war in den 1980ern schon mal ein Hotspot - die Älteren erinnern sich vielleicht noch.
Es ist durchaus denkbar, dass sich Trump in seiner Hybris verhebt und dass der Iran ihm nun einen Strich durch die Rechnung macht. Ich war immer ganz froh, dass Trump eigentlich in nicht allzu vielen militärischen Konflikten steckte, weil ich mir den Mann nie in der Nähe des Nuclear Footballs vorstellen mag.
Tatsächlich glaube ich, dass der Angriff auf die iranischen Atomanlagen jetzt, im Jahr 2025, der einzige Weg ist, um Irans Atomprogramm irgendwie kontrolliert abzuschalten.
Eine weitere Realität ist aber auch: Donald Trump hat selbst den multipolar verhandelten Atomdeal mit dem Iran 2018 zerrissen, der unter Obama verhandelt wurde und der bis zu diesem Punkt funktionierte. Grund: Er war “horrible”, seiner Ansicht nach. Ohne Trumps Entscheidung 2018 würde nun nicht gebombt. Es war 2025 vielleicht die letzte Wahl. Aber wenn man 2015 in einem feierlichen Vertrag dem Iran wirtschaftliche Hilfen für ein nukleares Entgegenkommen verspricht und diesen Vertrag drei Jahre später einseitig zerreißt, muss man sich auch nicht wundern, dass sich der Iran nicht an das einseitig gekündigte Abkommen hält.
Unten die Zahl der installierten Zentrifugen laut IAEO. Die nicht neu installierten Atomzentrifugen (braucht man zur Anreicherung von Uran) decken sich mit Obamas Atomdeal und dem nachfolgenden Ausstieg durch Trump.
Das war meine kurze Sicherheitspolitik-Presseschau für heute. Wer diesen Newsletter weiterempfehlen mag: Sehr gerne.
Слава Україні!,