Guten Morgen,
es ist schon erstaunlich, wie schnell sich der Fokus verschieben kann. Vor ein paar Wochen ging es fast ausschließlich um den Krieg Israels gegen den Iran inklusive der US-Luftangreiffe. Heute wieder die Ukraine, die unter großem Druck steht aber nicht gebrochen ist - subjektiv das für uns wichtigere Theater.
Donald Trump kündigt endlich “großangelegte” Unterstützung an. 90 Minuten Aufmerksamkeit für das Thema, mehr wird es nicht sein. Zumal sein Freund Putin mitten in der Offensive eine Gnadenfrist von 50 Tagen bekommt. Genug Zeit für Trump, um noch ein paar Waffendeals mit Europa abzuwickeln, während Putin in seiner Sommeroffensive vorrücken darf und dann wieder in die Charmeoffensive übergeht. Die natürlich zu nichts führen wird.
Und während alle Welt auf den nächsten Tweet wartet, verändert sich Krieg im Hintergrund radikaler als je zuvor: Drohnen, KI-gestützte Zielsysteme und Chinas Rolle im Pazifik verändern sich zusehends. Vor allem die Gefahr eines gemeinsamen Vorgehens Chians mit Russlands steigt auch aus Augen von NATO Generalsekretär. Dazu möchte ich abermals die Serie hinter meinem letzten Link empfehlen.
Es sind irre Zeiten. Und es sind gefährliche Zeiten.
Wer nicht vorsorgt, könnte bald ein Problem haben.
Viele Grüße
Gerald
Video der Woche
Michael Kretschmer bei Tilo Jung
Jung und Naiv, 7. Juli 2025
Die drei Minuten Interview nach 1:33.00 von Tilo Jung mit Sachsens CDU-Ministerpräsidenten Michael Kretschmer gehören tatsächlich zum unglaublichsten, was ich seit langem gesehen habe. Jung zitiert dabei ein russisches Positionspapier, in dem Kretschmer als besonders wichtiger pro-russischer Polit-Influencer zu sehen ist. Kretschmer, der zu seiner Haltung hierzu gefragt wird, erstarrt einfach nur. Bizarr.
Ukraine und Russland
Trumps und Europas Poker mit dem neuen Waffen-Deal
The New York Times, 14. Juli 2025
Trump droht Russland mit 100-Prozent-Zöllen und verspricht Patriot-Systeme für die Ukraine – nur bleibt offen, ob er diesmal Wort hält. Experten zweifeln, dass er wirklich einen Handelskrieg mit China riskiert, um Kiew zu helfen.
Interessant ist, wie geschickt NATO-Chef Rutte Trumps Geschäftslogik bedient: Europa kauft US-Waffen, Trump kann sich als Gewinner inszenieren, und die Ukraine bekommt dringend benötigte Luftabwehr. Der Artikel zeigt, wie eng das ganze Konstrukt kalkuliert ist und wie schnell es kippen könnte, wenn Trump wieder das Interesse verliert (was er wird).
Trump will Geld, Europa liefert Waffen – endlich Bewegung für Kiew
The Guardian, 14. Juli 2025
Mark Rutte nennt es „totally logical“: Trump verspricht Waffen, wenn Europa zahlt. Ein Deal, der mehr nach Ablasshandel als nach Allianz klingt, aber wohl der einzige Weg, um die US-Unterstützung am Leben zu halten. Rutte listet gleich ein halbes Dutzend Länder auf, die bei der ersten Lieferung mitziehen.
Nach Monaten diplomatischer Ausreden könnte das endlich heißen, dass die Ukraine in großen Mengen bekommt, was sie braucht. Der Guardian berichtet im Detail, wie der neue Waffenpakt funktionieren soll und wer zahlt. Fragt sich bei Trump nur: Wie lange.
Geschwindigkeit
Video von der 68. ukrainischen Jägerbrigade.
In der Ukraine sind Drohnen überall. Um das Tempo zu verstehen, mit dem die ukrainische Infanterie mittlerweile an den Stellungen mit neuen Soldat:innen und Material nachgerüstet werden muss, muss man sich das nachfolgende Video anschauen. Sobald das Fahrzeug losfuhr, wurde es von einer russischen FPV-Drohne angegriffen.
Europa und NATO
Europe’s Missile Gap: Wie Russland Europas Abwehr überholt
Missile Matters, Juli 2025
Russland baut Raketen schneller, als Europa Abwehrsysteme nachproduzieren kann. Selbst optimistische Szenarien reichen nicht, um den Rückstand auszugleichen.
Wer glaubt, Patriot und Aster allein könnten Abschreckung sichern, irrt. Ohne eigene Schlagkraft bleibt Europa erpressbar – und das weiß Moskau genau.
Bundeswehr plant Bedarf von rund 10.000 zusätzlichen Panzern und Radpanzern
hartpunkt, Juli 2025
Deutschland hat wirklich was vor. 10.000 neue Panzerfahrzeuge – das ist kein Symbolismus, sondern der Versuch, Europas Verteidigungslücke endlich zu schließen. Nach Jahren der Selbstberuhigung folgt Pragmatismus: erst beschaffen, dann perfektionieren.
Man kann die Zahlen groß finden, aber sie spiegeln die Realität einer Welt, in der Russland nicht verschwindet und Amerika unberechenbar bleibt. Wenn es gelingt, Industrie, Politik und Gesellschaft mitzunehmen, könnte aus diesem Plan tatsächlich die schlagkräftigste Armee Europas entstehen.
Europas Autonomie wächst – Atomkooperation und Ukraine-Hauptquartier ohne USA
Minna Ålander, 10. Juli 2025
Frankreich und Großbritannien rücken nuklear zusammen – ein Tabubruch, der zeigt, wie ernst Europas Wunsch nach strategischer Autonomie ist. Parallel entsteht in Paris ein neues Hauptquartier von 32 Staaten, die ihre Ukraine-Hilfen koordinieren, Luft- und Seeraumüberwachung inklusive.
Während Trump laviert, baut Europa Alternativen zu einer US-zentrierten Sicherheit auf. Minna Ålanders Text lohnt sich, um zu verstehen, wie still, pragmatisch aber nachhaltig diese neue europäische Architektur wächst.
Atomares
Der Atomclub könnte sich bald verdoppeln
The Atlantic, August 2025
Das, was in den letzten Jahrzehnten fast vergessen schien, rückt brutal zurück ins Zentrum: Proliferation. Südkorea, Japan, bald vielleicht Polen oder Saudi-Arabien – immer mehr Staaten sehen Atomwaffen nicht als Tabu, sondern als Versicherungspolice. Wenn Amerikas Schutzschirm löchrig wird und China und Nordkorea aufrüsten, wird aus Zurückhaltung Kalkül. Dieses Thema wird wieder eine Überlebensfrage für Asien und für uns alle.
Asien
Taiwans „Red Beaches“ – wo China kommen könnte
The Counteroffensive, Juli 2025
Taiwans Verteidigungspläne sind alles andere als theoretisch: Zwischen einem Dutzend und 20 Stränden – den „Red Beaches“ – rechnet Taipeh ernsthaft mit Landungen der PLA. Was wie ein Szenario aus dem Wargame klingt, wird hier mit Karten, Topografie und Trainingsbesuchen konkret.
Interessant, wie sehr Naturfaktoren – Strömung, Tidenhub, Taifunzeit – Taiwans Verteidigung prägen – und dass der günstigste Monat für eine Invasion April wäre und wie sehr die Ukraine als Vorbild dient.
Neue Folge: The Next World War
Flat Circle History, 10. Juli 2025
Vor wenige Tagen warnte NATO-Generalsekretär Marc Rutte vor einem koordinierten Angriff Chinas und Russlands auf Taiwan und NATO gleichzeitig. Das Szenario macht absolut Sinn. Es ist auch der Rahmen der wirklich wahnsinnig gut gemachten Youtube Serie “The Next World War”, die User FlatCircle History nun schon in der 18. Folge durchanimiert. Die erste Staffel drehte sich um einen russischen Übergriff aufs Baltikum. Staffel 2 beschreibt nun den zeitgleichen chinesischen Angriff auf Taiwan Ende des Jahrzehnts. Kein einfacher Stoff, aber wer ein wirklich realistisches Szenario sehen will: Hier ist es.
Das war meine kurze Sicherheitspolitik-Presseschau für heute. Wer diesen Newsletter weiterempfehlen mag: Sehr gerne.
Слава Україні!,