Guten Morgen,
vorm Wochenende wollte ich noch ein paar lesenswerte Links der letzten Tage teilen. Interessant, dass auch in meiner Leseliste der Focus sich wegbewegt von ukrainischen Frontverläufen und hin zu geopolitischem Setup, der neuen Rüstungsindustrie und dem wachsenden Spalt zwischen Europa und Amerika.
Tatsächlich verändert sich etwas. Einen Funken Hoffnung habe ich, dass Europa die Kurve kriegt und versteht, dass unsere Sicherheit der nächsten Jahrzehnte von heute an grundsätzlich anders gedacht werden muss als die der letzten.
Ich bleibe zuversichtlich.
Gerald
Ukraine und Sicherheitspolitik
Die subjektiv interessantesten sicherheitspolitischen Links der letzten Tage
“Wenn Russland gewinnt” – Carlo Masalas düster realistisches Szenario für Europa
Campus Verlag, März 2025
Carlo Masala hat ein neues Buch geschrieben. Es spinnt eine “Alternativrealität” (wohl eher Realität), was passiert, “wenn Russland gewinnt”:
Nach dem für die Ukraine demütigenden Diktatfrieden von Genf wendet sich im Europa von Carlo Masalas neuem Buch der Wind: Die Appeaser fühlen sich bestätigt, die Unterstützer:innen der Ukraine werden zu Täter:innen gemacht. Die NATO ist blamiert, die USA richten den Blick gen Pazifik – und Moskau feiert den Sieg. Klare Botschaft: Das war nur der erste Schritt.
Dann die überraschende Wendung: Putin tritt zurück, übergibt die Macht an einen jungen, charismatischen Nachfolger – weltoffen, versöhnlich, modern. Endlich Tauwetter? Nicht ganz.
„Wenn Russland gewinnt“ ist kein Zukunftsthriller, sondern ein hochverdichtetes geopolitisches „What-if“, das nüchtern und beklemmend durchdekliniert, was passieren könnte, wenn Europa glaubt, Sicherheit gegen eine bequeme Illusion einzutauschen. Sehr lesenswert.
Wiesbaden: Das westliche Herz des Ukraine-Kriegs
New York Times, 29. März 2025
Was 2022 als geheimes Treffen zwischen britischen Kommandos und ukrainischen Generälen begann, wurde in Wiesbaden zur NATO-Schaltzentrale für den Verteidigungskrieg gegen Russland: US-General Donahue und der Ukrainer Zabrodskyi schmiedeten dort die engste Militärpartnerschaft seit Jahrzehnten. In der "Task Force Dragon" planten sie gemeinsam mit CIA und NATO-Offizieren ukrainische Offensiven, HIMARS-Schläge und präzise "points of interest".
Sehr gutes NYT Editorial zur geheimen Partnerschaft mit der Ukraine.
Wie viele Europäer:innen ihr Land verteidigen würden
Zugegeben: In Österreich und Italien sieht es noch bitterer als bei uns. Aber ich muss schon zugeben, dass mich so Statistiken massiv irritieren. Die Deutschen scheinen immer noch nicht verstanden zu haben, dass Freiheit nicht kostenlos zu haben ist.
Rüstung in der Transformation
Neue Rüstungsprojekte, die zeigen, wie sehr sich der Krieg gerade verändert
China präsentiert Tiefsee-Kabelschneider – und ein potenzielles geopolitisches Problem
South China Morning Post, 8. April 2025
China hat ein ziemlich eindrucksvolles, aber auch potenziell weltordnungssprengendes Gerät vorgestellt: Einen extrem leistungsfähigen Tiefsee-Kabelschneider, mit dem sich unterseeische Datenkabel im Ernstfall durchtrennen lassen. Das Teil sieht aus wie aus einem Bond-Film – ist aber leider real. Die meisten Internetverbindungen zwischen Kontinenten laufen heute über genau diese Tiefseekabel. Dass China nun zeigt, wie es die Dinger im Fall der Fälle lahmlegen könnte, ist eine klare Machtdemonstration.
Sprung über die Meerenge – Chinas neue amphibische Landungsbrücken
Hartpunkt, 8. April 2025
Und nochmal China. China hat offenbar einen neuen Typ amphibischer Schwimmbrücke in den Einsatz gebracht, die weit über das hinausgeht, was bisher bekannt war – mit dem ziemlich offensichtlichen Zweck: eine mögliche Invasion Taiwans logistisch vorbereiten zu können. Das neue System kann offenbar 50-Tonnen-Kettenfahrzeuge transportieren und wurde zuletzt in Manöver eingebunden, bei denen genau das geübt wurde, was man in Taiwan seit Jahren fürchtet: der Sprung über die 130 Kilometer breite Taiwanstraße.
Der stille Aufstieg der Mini-Marschflugkörper
Hartpunkt, 6. April 2025
Während alle Welt auf Drohnen starrt, findet im Hintergrund eine zweite technologische Verschiebung statt: Mini-Marschflugkörper werden gerade zum echten Gamechanger. Billiger als klassische Cruise Missiles, aber viel durchschlagskräftiger als einfache Kamikazedrohnen. Die Ukraine produziert bereits Modelle wie „Pekklo“ (700 km Reichweite) und „Ruta“ in Serie. Auch die USA (Anduril, Lockheed) und Europa (MBDA) steigen ein. Die kleinen Flugkörper könnten vor allem für kleinere NATO-Staaten zum Einstieg in echte Langstrecken-Fähigkeiten werden – und das zu einem Bruchteil der bisherigen Kosten.
Europa kauft ukrainisch – und das ist mehr als Symbolpolitik
Euromaidan Press, 10. April 2025
In der sicherheitspolitischen Zusammenarbeit mit der Ukraine zeichnet sich eine Trendwende ab: Statt nur Waffen zu liefern, beginnen erste europäische Länder wie Dänemark, direkt bei ukrainischen Herstellern zu kaufen.
Das ist klug. Denn während Europa an milliardenschweren Zukunftsprojekten wie FCAS und MGCS bastelt, liefert die Ukraine bereits heute funktionierende Drohnen, Loitering Munition und improvisierte Flugabwehr – erprobt im Krieg, bereit für den Einsatz. Genau das, was Europas Verteidigung jetzt braucht: Tempo, Pragmatismus und Wirkung. Und das jetzt. Für die Ukraine ist es auch gut, die sich damit eine neue Industrie erschafft, die aus Russlands unsäglichem Krieg entstanden ist.
Bundeswehr will raus aus dem Starlink-Schatten
t3n, 9. April 2025
Unter den strategischen Ressourcen, auf die NATO-Staaten (ohne USA) im Ernstfall angewiesen sind, stehen Satelliten ganz oben. Ohne sie: keine Kommunikation, keine Aufklärung, kein Zielerfassen. Dass die Bundeswehr nun ein eigenes Satellitennetzwerk aufbauen will – Start bis spätestens 2029 – ist also weit mehr als ein technisches Update. Es ist eine sicherheitspolitische Ansage: Weg von der Abhängigkeit von Elon Musks Starlink oder US-Militärsystemen, hin zu europäischer Autonomie im Orbit.
Das war meine kurze Sicherheitspolitik-Presseschau für heute. Wer diesen Newsletter weiterempfehlen mag: Sehr gerne.
Слава Україні!,