Guten Morgen,
nicht viel Gutes hört man aus der Ukraine. Leider. Nach Abbruch der ohnehin sinnlosen Gespräche mit Russland und dem offensichtlichen Rückzug Amerikas dreht Russland richtig auf. Kyiv liegt seit Tagen wieder unter Dauerfeuer und im Osten scheint auch die umkämpfte Region Pokrowsk unter so großem Druck zu stehen, dass schon über Frontzusammenbrüche gemutmaßt wird.
Über drei Jahre Vollinvasion in der Ukraine und es sieht nicht gut aus für die Ukraine. Ich wünschte, man könnte es anders beschreiben.
Viele Grüße
Gerald
Ukraine
Kyiv unter schwerstem Drohnen- und Raketenbeschuss
The Guardian, 25. Mai 2025
Russlands größte Luftoffensive gegen Kyiv seit Kriegsbeginn: Mehr als 250 Drohnen und 14 ballistische Raketen in zwei Nächten, dutzende Verletzte, brennende Wohnhäuser. Während in Washington weiter mit Putin telefoniert wird, brennt in der ukrainischen Hauptstadt das Ergebnis dieser Zögerlichkeit. Zeug:innen schrieben, dass Putin nicht mal mehr so tut, als würde er zwischen militärischen und zivilen Zielen unterschreiden. Wer noch glaubt, Russland wolle Frieden, hat irgendwas grundsätzlich nicht verstanden.
Warum befragt man eigentlich Deutsche in Umfragen nach ihrer Lösung für den Ukraine-Krieg?
Und wo wir gerade beim Thema sind. Im August 2024 wollten zwei von drei Bundesbürgern laut Forsa einen Waffenstillstand und Verhandlungen mit Putin in der Ukraine.
Jetzt, im Mai 2025 sagen laut Politbarometer 80 % aller Deutschen, dass Putin keine Verhandlungen will und keinen Frieden. Nur eine Handvoll glaubt noch, dass es überhaupt eine Möglichkeit dafür gibt. Die Meldung oben bestätigt das.
Widerspruch? Klar, aber ohne Lernkurve. Weil man sich eigentlich die ganze Zeit falsch entschieden hat. Egal, was gerade in den Umfragen steht.
Umfragen sind kein Tool, um sinnvolle Außenpolitik zu machen. Schon gar nicht Sicherheitspolitik. Deutsche werden sich immer für die für sie vermeintlich bequemste oder billigste Antwort entscheiden.
Und wenn die Meinung von vor ein paar Monaten und die Realität jetzt nicht zusammenpassen? Guckt man halt woanders hin und hofft, dass niemand mehr so schwierige Fragen stellt. Kognitive Dissonanz Galore. In Deutschland ist man immer schlauer. Bis zu dem Zeitpunkt, wo einem wieder das Gegenteil bewiesen wird. Und dann schweigt man lieber, weil man Ruhe und keine Problemlösung will. Die hätte nämlich in der konsequenten Unterstützung der Ukraine gegen die Russen bestanden.
Russlands Nationen im Krieg - ohne Russen
Krieg führt Russland übrigens nicht nur gegen die Ukraine. Russlands Krieg ist auch ein Krieg gegen die nicht-russischen Nationen im eigenen Vielvölkerstaat. Die, die durch Auswahl, wirtschaftliche Zwänge und einen klassischen Verdrängungswettbewerb mit den Russen an die Front geschickt werden. Ein Video aus einem russischen Graben zeigt das recht eindrücklich.
Sicherheitspolitik
Deutschland stationiert Brigade in Litauen – „Vilnius zu schützen heißt Berlin zu schützen“
DW News, 22. Mai 2025
Wahrscheinlich ist wenigen Deutschen bewusst, wie tief die Dankbarkeit vieler Litauer:innen über die neue deutsche Brigade ist. Die 45. Panzerbrigade, die jetzt dauerhaft in Litauen stationiert wird, ist für die Bundeswehr eine tatsächliche Zeitenwende. Es ist der erste Verband der Bundeswehr, der dauerhaft außerhalb der deutschen Grenzen zum Schutz des NATO Territoriums aufgebaut wurde. Rund 5.000 Soldat:innen, schweres Gerät, Kampfpanzer: Ein definitiver Bruch mit jener Ära, in der Deutschland lieber an Pipelines als an Panzer dachte.
Was, wenn Russland Krieg gegen die NATO führen würde?
Foreign Policy, 19. Mai 2025
Russlands wahrscheinlichstes Kriegsszenario beginnt nicht mit einem Sturmangriff auf Berlin, den Moskau weder führen noch gewinnen könnte. Es beginnt mit Entwaffnung durch Erosion der Allianz. Keine Panzer, sondern Paralyse. Ziel ist nicht der Sieg auf dem Schlachtfeld, sondern die Entkernung des Westens: durch Cyberangriffe, rechte Netzwerke, nukleares Säbelrasseln und importierte Angst. Wir sind längst in Phase 2 dieses Krieges. Wenn wir uns strategisch brechen lassen, folgt Phase 3. Und dann wird’s kinetisch. Gute Analyse bei Foreign Policy.
Warum Russland will, dass der Krieg weitergeht
Anders Puck Nielsen, Mai 2025
Anders Puck Nielsen ist einer der klarsten Russland-Erklärer im Netz. In diesem Video macht er deutlich, warum der Westen Putins Kriegsziele immer noch missversteht. Es geht nicht um Territorium. Es geht um Größe. Um eine mythische Vision russischer Bedeutung, die mehr im Krieg selbst liegt als in dessen Ausgang. Ein paradoxer Gedanke: Russland kommt seinem Ideal vielleicht näher, solange der Krieg weitergeht – und würde es verlieren, sobald er endet. Keine schlechte Perspektive, um Putins Strategie zu verstehen. Und unseren Fehler, sie aufzugeben.
Rüstung
China präsentiert neues Drohnen-Mutterschiff „SS-UAV“
Militär Aktuell, 19. Mai 2025
Das Ding sieht aus wie aus einem Metal Gear Solid Albtraum – ist aber real. Chinas neues Drohnen-Mutterschiff wiegt 15 Tonnen, soll Raketen tragen und gleichzeitig über 100 Kleindrohnen im Flug losschicken können. Man nennt sowas „Force Multiplikator“. Das System ist dafür gebaut, Kriege zu starten und Luftverteidigung durch Masse zu sättigen. Wer sich fragt, wie asymmetrische Dominanz in naher Zukunft aussieht: So.
Nordkoreas größter Zerstörer kentert bei Stapellauf – Kim tobt
CNN, 22. Mai 2025
Große Bühne, großes Desaster: Nordkoreas neuestes 5.000-Tonnen-Kriegsschiff sollte martialische Stärke zeigen und liegt nun halbversunken, seitlich im Wasser. Der Stapellauf endete am 20. Mai vor den Augen Kim Jong-uns mit einer Peinlichkeit sondergleichen als das Schiff beim Stapellauf destabil wurde und zur einen Hälfte absoff, zur anderen Hälfte an Land blieb. Der zerstörte Zerstörer ist ein Prestigeprojekt der Choe-Hyon-Klasse und ist in der hierarchisch streng geordneten Diktatur deshalb ein besonderer Gesichtsverlust für Kim. Denn hunderte Menschen sahen zu, während er selbst als großer Führer den Stapellauf überwachte.
Da will man nicht in der Haut der Offiziellen stecken.
Sicherheitspolitik und Geschichte
Als Berlin die Warnungen eines NATO-Generals für Kriegshetze hielt
Der Spiegel, 25. Juli 2016
Ein Artikel aus dem Sommer 2016. Geschrieben zwei Jahre nach der russischen Krim-Invation, in einer Zeit, als Deutschland gerade noch mehr Gas aus Russland importierte. Genereller Konsens in den Merkel-Jahren: Die Ukraine möge jetzt bitte einfach leise sein, damit wir Nordstream II in Ruhe fertig bauen können.
Der US-NATO-General Breedlove warnte früh vor russischer Aggression gegen die Ukraine und wollte Kiew militärisch unterstützen. In Berlin hielt man ihn für einen Scharfmacher. Der immerschlaue SPIEGEL, der bekanntlich alles immer besser weiß, beschreibt 2016 ein „Netzwerk westlicher Hardliner“, das angeblich den Konflikt anheizte.
Was der Text vor allem dokumentiert: die tiefsitzende Naivität der deutschen Politik und Medien. Warnungen wurden als Hysterie abgetan, militärische Hilfe als Eskalation diffamiert. Breedlove hatte recht. Aber in Berlin war man noch damit beschäftigt, gute Laune im Kreml zu machen.
Operation Chrome Dome: Als die USA mit Atomwaffen im Dauerflug Kreise zogen
The History Guy, YouTube
Zwischen 1961 und 1968 hielten die USA täglich mehrere B-52-Bomber in der Luft – vollgetankt, scharf bewaffnet mit Wasserstoffbomben, jederzeit bereit zum Erstschlag gegen die Sowjetunion. Operation Chrome Dome war das fliegende Rückgrat der nuklearen Abschreckung, die logistische Konsequenz aus der „MAD“-Doktrin (Mutual Assured Destruction). Die Maschinen kreisten auf festen Routen über Grönland, Alaska, das Mittelmeer – rund um die Uhr. Dass es dabei zu mehrfachen Beinahe-Katastrophen kam, darunter Abstürze mit verlorenen Atombomben, wurde damals verschwiegen. Ein irrwitziges Kapitel atomarer Selbsthypnose, das man heute nur noch mit Staunen (und Schaudern) nacherzählen kann.
Das war meine kurze Sicherheitspolitik-Presseschau für heute. Wer diesen Newsletter weiterempfehlen mag: Sehr gerne.
Слава Україні!,