Guten Morgen,
ein weiterer wilder Monat in Sachen Sicherheitspolitik.
In der Türkei trafen sich ukrainische und russische Delegierte zu den erwartungsgemäß gescheiterten Verhandlungen: Moskau stellte Maximalforderungen, indem es von der Ukraine den Rückzug aus den vier Regionen Donetzk, Luhansk, Kherson und Zaporizhzhia forderte. Als die ukrainische Seite das ablehnte, verließ - laut Beobachtern - die russische Delegation mit den Worten den Raum, dass es bald um fünf Regionen ginge, über die die Ukraine verhandeln müsse. Putin will keine Lösung – er will Eroberung. Und so wird es keinen Frieden geben.
Währenddessen bahnt sich am anderen Ende der Welt ein weiterer Brandherd an: Ein kurzer, brutaler Schlagabtausch zwischen Indien und Pakistan lässt Erinnerungen an frühere Eskalationen wachwerden, nur das beide an die Zähne mit Nuklearwaffen bewaffnet sind. Einen Krieg zwischen zwei Atommächten gab es nur schon einmal zuvor - zwischen Indien und Pakistan 1999 und da ging alles nochmal gut. Der brüchige Waffenstillstand zeigt aber noch etwas anderes: Hier dreht es sich auch um das Aufeinandertreffen westlicher und chinesischer Hardware. Und den Kampf hat China gerade gewonnen.
Kurz: Wir leben in einer absolut wilden Welt. Vorausschauende Sicherheitspolitik ist wichtiger denn je.
Viele Grüße
Gerald
NATO und Ukraine
Russland baut Truppen an der Grenze zur NATO massiv aus
Newsweek, 15. Mai 2025
Neue Satellitenbilder zeigen, was viele befürchtet haben: Russland verstärkt systematisch seine Militärpräsenz an der Grenze zu Finnland. Bauten für Unterkünfte, neue Startbahnen, Infrastrukturausbau: gleich an vier Standorten wird gearbeitet und mehr werden folgen.
Laut dem finnischen Analysten Emil Kastehelmi könnten bald Zehntausende russische Soldaten an der Nordostflanke der NATO stehen. Und das nicht nur an Finnlands Grenze, sondern auch Richtung Norwegen und Baltikum.
Russische Soldaten wollen Frieden, nach der Unterwerfung
New York Times, 17. Mai 2025
Die russische Kriegsmaschinerie ächzt, aber sie will weiter marschieren. Die NYT liefert hier ein eindrucksvolles Stimmungsbild von elf russischen Frontsoldaten, die trotz Erschöpfung und Trauma nicht an ein Ende glauben, sondern an die Vollendung der "Mission". Ein Waffenstillstand ohne vollständige Eroberung von Donezk, Luhansk, Saporischschja und Cherson? Für viele der Befragten wäre das ein Verrat an den Gefallenen – und eine Einladung zum nächsten Krieg.
Wer sich fragt, warum Putin trotz allem noch Spielraum für Eskalation hat: Genau hier liegt die Antwort. Es ist nicht nur Propaganda von oben. Die nationalistische Erwartung von Sieg hat längst Fuß in den Schützengräben gefasst. Eine brutale Realität für alle, die auf diplomatische Lösungen hoffen. Und ein bitteres Signal an jene in Washington und Berlin, die glauben, man könne diesen Krieg einfach „einfrieren“.
Mad Max in der Ostukraine
Ukraine, FPV-Zone
So sieht ein Humvee aus, wenn man ihn nicht für die Parade, sondern fürs Überleben im Drohnenkrieg umrüstet. Mit dabei: ein Drohnen-Käfig zum Stoppen von Loitering Munition, ummantelt ist er mit Maschendraht und bestückt mit elektronischen Jammern. Das Ding ist ein rollender Käfig gegen FPV-Kamikazedrohnen. Sieht aus wie Fury Road ist aber ein ziemlich krasser Mix aus modernstem Gerät und all dem, was halt noch in der Scheune lag.
Indien und Pakistan
Operation Sindoor: Die größte Luftschlacht seit dem Zweiten Weltkrieg
Militär Aktuell, 13. Mai 2025
Am 7. Mai lieferten sich Indien und Pakistan die wohl größte Luftschlacht seit 1945: Über 100 Jets beider Seiten waren beteiligt – 72 indische, 42 pakistanische – standen sich in einem Langstrecken-Gefecht (BVR - Beyond Visual Range) gegenüber, das in seiner Tiefe und Distanz bisher einzigartig war. Geflogen und gekämpft wurde auf bis zu 160 Kilometer Distanz, gelenkt durch Langstrecken-Präzisionsraketen und Sensorik. Kaum ein Jet jeder Seite verließ den eigenen Luftraum.
Und darin liegt die eigentliche Nachricht: BVR Kämpfe bedeuten eine fundamentale Revolution des Kriegshandwerks in der Luft. Nicht der “Dogfight” entscheidet durch Agilität sondern wer das beste Netzwerk aus Radar, Stealth und Langstreckenraketen zusammenbekommt. Trotz massiver Propaganda beider Seiten scheint hier Pakistan einen sehr entscheidenden Punkt gemacht zu haben. Dank neuer, frisch gelieferter chinesischer Jets und einer neuen Langstreckenrakete scheint es hier bemerkenswerte Erfolge gegen die Inder erzielt zu haben (mehr dazu im nächsten Link).
Wie Pakistan in der Luftschlacht von Operation Sindoor drei Rafales abschoss
YouTube, Mai 2025
Pakistan behauptet, im Rahmen der eben angesprochenen Operation Sindoor drei neue indische Rafale-Jets aus französischer Produktion abgeschossen zu haben. Das verlinkte Video zeigt, wie das passiert sein könnrte. Was auch immer da zwischen Indien und Pakistan im Rahmen dieser Luftschlacht passiert ist: Es ist eine Blaupause für den Wettkampf zwischen neuer chinesischer Luftkampftechnologie (Pakistan) und neuer westlicher Technologie (Indien, in diesem Fall aus französischer Produktion) - und Indien scheint verloren zu haben.
Rüstung
Gamification im Drohnenkrieg: Ukrainische Operators shoppen ihr Waffen selbst
Politico, 3. Mai 2025
Kriege verändern das gesamte Spiel der Rüstungsinnovation, weil durch sie ein großer Need mit neuen Möglichkeiten und plötzlich großen Budgets zusammenkommt. So auch in diesem krassen Beispiel: Die Ukraine hat ihren Drohnenkrieg nun vollständig gamifiziert und neben einem neuen Punktesystem auch an einen Shop angeknüpft. Brave1 verknüpft dokumentierte Treffer mit einem Punktesystem, das direkt auf einen digitalen Marktplatz führt. Ein System für die Generation Playstation.
Drohnen-Operatoren, die treffen, bekommen Punkte. Wer Punkte hat, bekommt Ausrüstung, die er sich selbst direkt bei der Industrie konfigurieren kann. Das erinnert an Fortnite und ist auch genau so gedacht, denn die Zielgruppe ist mit der Playstation aufgewachsen. Der Operator wird zur taktischen Instanz, zur logistischen Schnittstelle, zur Einkaufszentrale in Tarnfleck. Und ja: Das Angebot ist riesig – von Drohnen über Störsender bis zu KI-Zielsystemen. Was hier entsteht ist das Betriebssystem des neuen vollautomatisierten Kriegszeitalters."Infantry wins battles, logistics wins wars."
London und Berlin bauen gemeinsam eine Langstrecken-Präzisionswaffe
The War Zone, Mai 2025
2.000 Kilometer Reichweite, „deep precision strike“, NATO-Label drauf – aber ob Rakete oder Marschflugkörper, bleibt vorerst offen. Großbritannien und Deutschland wollen gemeinsam liefern, was Europa bisher schmerzlich fehlt: eine glaubwürdige Fähigkeit zum strategischen Gegenschlag ohne US-Hilfe.
Das Projekt zeigt, wie sich die Rüstungslogik in Europa verschiebt. Nicht mehr nur Verteidigung im Nahbereich, sondern Offensivkapazitäten mit echter Tiefe. Moskau dürfte es registrieren – und Paris wohl auch, denn Frankreich bleibt außen vor. Europäische Zeitenwende, Teil II.
Ukraine setzt alles auf Drohnenkrieg
New York Times, 28. April 2025
70 % aller Verluste entstehen mittlerweile durch Drohnen – mehr als durch Artillerie, Panzer oder Minen. Kiew setzt angesichts ungewisser US-Hilfe voll auf Eigenproduktion und Innovation: Glasfasersteuerung, fliegende Repeater und chinesische Bauteile. Ziel ist die Schaffung eines lückenlos überwachten Drohnenkorridors rund um die Front, der russische Truppenbewegungen früh stoppt. Krasser Artikel.
Schleichende, suchende Drohnen
Reddit / Signum Battalion, 19. Mai 2025
Und wo wir gerade dabei sind: Hier ein konkretes Beispiel. Das perfide am neuen, schrecklichen Drohnenkrieg ist, dass diese Waffen nicht wie Raketen funktionieren. Sie stoppen, horchen, spähen, ändern Kurs. Hier sieht man eine ukrainische Glasfaser-Drohne, wie sie in der Luft innehält, sich einen Eingang sucht, durch ein Gebäude navigiert und am Ende einen versteckten russischen T-72B3 zerstört.
Geopolitik
We’re Still Fighting World War II
Foreign Affairs, Mai 2024
Antony Beevor erinnert uns daran, dass Geschichte nicht endet, sie franst aus. Der Zweite Weltkrieg ist keine abgeschlossene Kiste im Museum der Weltpolitik, sondern ein noch offenes Kapitel, aus dem Russland, China und zunehmend auch die USA ihr Handeln begründen. Putin inszeniert sich als Erbe Stalins, blendet den Hitler-Stalin-Pakt aus und ruft die „Entnazifizierung“ in Kiew aus, während Trump schon mal mit Dugin flirtet.
Beevor macht deutlich: Die alten Frontlinien – Demokratie vs. Diktatur, Erinnerung vs. Propaganda – verlaufen heute wieder quer durch die Welt. Wer glaubt, wir lebten in einer Nachkriegsordnung, verkennt, dass der Krieg, über den wir sprechen, überall anders gesehen wird.
Das war meine kurze Sicherheitspolitik-Presseschau für heute. Wer diesen Newsletter weiterempfehlen mag: Sehr gerne.
Слава Україні!,